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Nina in Nomad Land: Reset im Zillertal

„Reisen und Arbeiten ohne festen Wohnsitz mit einem 13-jährigen Kind? Das geht. Seit fast zwei Jahren sind wir bereits unterwegs. Im Sommer verschlug es uns nach Österreich ins Zillertal – auf eine einfache Berghütte mit wenig Strom und WIFI. Ein Workation-Abenteuer.“
Nina Winkler

Nach unseren Aufenthalten in Thailand, Südafrika und Portugal nun also mal wieder ins heimische Mitteleuropa. Wir wollen ein wenig kürzertreten und einfacher leben. Deshalb verbringen Jamie und ich sieben Wochen auf einer abgelegenen Berghütte im Zillertal. Das Pikante daran: Simple Life wird hier keine hohle Phrase, sondern unvermeidliches Programm sein. Der größte Luxus: Strom. Fließendes Wasser, WC und Bad gehören schnell in die Kategorie unerfüllbare Wunschvorstellung.

Zuerst müssen wir einkaufen: Da es keinen nahegelegenen Ort gibt, sondern jedes vergessene Stück Butter 45 Minuten kurvenreiche Autofahrt bedeutet, lege ich Listen an. Für Lebensmittel, Haushaltssachen, Freizeitaktivitäten und eine Liste für Arbeit, Schule und Technik. Unser mobiler Router wird nochmals überprüft, alle Geräte aufgeladen. Mit einem zum Bersten vollgepackten Auto geht es dann rund zwei Stunden von München ins Zillertal, auf enger werdenden Straßen bis zu einer unbefestigten, streckenweise waghalsig steilen Wanderstraße auf 1.500 Metern hinauf. Nachbarn? Fehlanzeige! Die einzigen Lebewesen hier oben sind Füchse, Rehe und Hasen – und die bekommt man nur zu Gesicht, wenn man früh morgens auf Zehenspitzen ans Fenster schleicht und den Waldrand beobachtet.

Ade, luxuriöses Lotterleben

Statt Hotel-Frühstücksbuffet will jetzt der alte Küchenofen morgens eingeheizt werden. Ohne den geht gar nichts, denn er sorgt auch für Wärme im Haus, wenn selbst jetzt noch die Temperaturen oft unter 10 Grad fallen. Aber was vor allem ein grandioses Gefühl bringt, ist der Kaffee, der nach einer Stunde Arbeit endlich dampfend vor mir steht!
Danach wird Wasser geholt: Mit Hilfe von 5-Liter-Kanistern schleppen wir Trinkwasser, aber auch das Wasser für Haushalt und Körperpflege vom Brunnen vor der Hütte ins Haus hinauf.
Natural Workout, here we come!

Nach dem Frühstücken steht für Jamie Holzhacken auf dem Programm. Nach wenigen Tagen kann er das ohne Anleitung, sogar mit der großen Axt. Mir als Mutter rutscht trotzdem das Herz in die Hose, ein Notfall wäre hier nur aufwändig mit Hubschraubereinsatz zu lösen. Also sind wir generell vorsichtig: Falsches Schuhwerk am Berg kann leicht zu gebrochenen Knochen führen. Auch die Garderobe für den Mailänder Laufsteg habe ich daheim gelassen: Cargo-Hosen und Hoodies sind ohnehin viel praktischer.

Nach einigen Tagen reicht es uns mit der Katzenwäsche im kleinen Waschzuber: Wir wollen richtig duschen! Die Variante „Eisdusche am nahegelegenen Wasserfall“ finden wir unschön, also fahren wir bei schönstem Sommerwetter in den Ort ins örtliche Freibad. Hier können wir gleich noch Lebensmittel einkaufen und Freunde besuchen!

Die Wochen laufen sehr entspannt ab …

Wir erledigen vormittags alle Haushaltsdinge und nachmittags stehen Schule und Texten an. Natürlich nutze ich die schönsten Tage für mein Hobby-Trail-Running: Es gibt einfach zu viele schöne Strecken hier, die ich seit meiner Kindheit kenne und liebe. An den Wochenenden erkunden wir die Berge: Nur eine halbe Stunde Wanderung entfernt liegen das Fichtenschloss als Abenteuerspielplatz und ein Freizeit-Bergsee, der zum Baden und Sonnetanken einlädt. Da beide Plätze auch von vielen Seilbahn-Gästen erreichbar sind, beschließen wir, für etwas mehr Ruhe nur noch spät am Nachmittag zum See zu laufen. Tolle Sache: Beim Spielplatz gibt es einen Grill, der dauerbefeuert und beaufsichtigt wird. Wer mag, kann sein Grillgut mitbringen und grillen lassen – oder man kauft sich Würstchen und Co. aus lokaler Herstellung am Grillgutautomaten. Was für eine coole Idee! Auch das Wetter ist durchgehend gut zu uns, es regnet nur zweimal während unseres Aufenthalts. 

Kaum elektronische Ablenkung

Unsere Ausflüge sind oft von Erlebnissen mit Tieren geprägt: Wir treffen Ziegen, Kühe, Pferde, Hühner wie auch laut pfeifende Murmeltiere, scheue Füchse und Wiesel. Auch auf der Hütte werden wir erfinderisch in puncto Unterhaltung: Da leider die Internetverbindung für Datenvolumen à la Netflix zu schwach ist, spannen wir ein Badminton-Netz auf und spielen in Hanglage. Keine leichte Übung, aber dafür sehr lustig! Auch das abendliche Kartenspielen wird zum Highlight des Tages, und wir genießen es sehr, kaum elektronische Ablenkung zu haben. Gelegentlich bekommen wir Besuch, denn abends nach Liftschluss beschränkt sich die akustische Kulisse tatsächlich auf Vogelzwitschern und den nahegelegenen Wasserfall, der als dauerhaftes Hintergrundgeräusch vor sich hin plätschert. Wir fühlen uns gelegentlich etwas allein, aber nie einsam.

Schule und Texten funktionieren super, aber nur im ersten Stock: Der Empfang ist hier einfach besser. Nur bei der Videoübertragung, beim Verschicken von Fotos und größeren Dateien ruckelt es ein wenig, und wir sind einstimmig der Meinung, dass Thailand in dieser Hinsicht die Nase ganz weit vorn hat. Zudem sind Daten in Österreich nicht ganz billig, und ohne Wohnsitzadresse bekommt man die guten Angebote sowieso nicht. Mit der deutschen Karte gibt’s zwar 2 GB bei einem Auslandsaufenthalt, aber die sind mit Online-Schule und Co. schnell aufgebraucht.

Ende August kommt meine Mutter uns besuchen – mit kiloweise Gelierzucker, kleinen Eimern und Heidelbeerkämmen. Rund um die Hütte gibt es Blaubeerfelder, die wir ernten dürfen. Und bald sammeln wir fast fünf Tage lang rund 20 Kilogramm Blaubeeren plus mehrere Kilogramm Preißelbeerenschaufeln. Oma Helga verarbeitet alles an Ort und Stelle zu Marmelade. Außerdem auf dem Speiseplan: Pfifferlinge und Steinpilze! Von ihnen werden wir mehrere Tage problemlos satt.

Dann ist das Pilz- und Beerenlimit so langsam erreicht und sieben schöne, lange Wochen gehen dem Ende entgegen. Wir freuen uns darauf, den Ziegenpeter-und-Heidi-Status abzulegen und wieder in die Zivilisation einzutauchen. Man kann wohl ohne Übertreibung sagen, dass wir den Reset-Knopf in puncto Luxus gedrückt haben: Am meisten freue ich mich jetzt auf eine Badewanne.


Nina Winkler …

Nina Winkler… war als Weltreisende davon angetan, wie einfach und herausfordernd das Leben auch in den Alpen sein kann. Zu ihren nächsten Stationen gehören Namibia und Südamerika.

INFO DESTINATION / BLEISURE TIPPS:

Das Zillertal ist Sommer wie Winter Wonderland gleichmaßen. Aktuell lädt es vom Wandern über Biken bis Golfen ein.
LAGE: in Österreich im Bundesland Tirol als ­südliches Seitental des Inntals, ca. 40 km östlich von Innsbruck
ANREISE: mit dem Auto oder per Zug nach Innsbruck und mit Bus und Taxi auf die Hütte
BLEISURE TIPPS: Die pure Natur auf unzähligen Wander- und Trail-Running-Touren. Im Tal u.a. das Freibad, Schau-Goldbergwerk, Flying Fox.

 

Fotos: © Nina Winkler