Jordanien

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Eat, run, love in Jordanien 

„In Ranglisten der beliebtesten Expat-Destinationen taucht Jordanien fast nie auf. Dabei berühren hier Kultur, Kunst und Küche alle Sinne – und die Stärke der Frauen das Herz.“ Annika Goodwin, Journalistin

In roten Ziffern läuft der Countdown vor unseren Augen ab. Zehn, neun, acht. Ich höre, wie die Zumba-Trainerin von der Bühne aus auf Arabisch herunterzählt. Sieben, sechs, fünf. Um mich herum hat sich eine Traube von Läuferinnen gebildet: Die meisten tragen ein pinkfarbenes Shirt, manche einen Hijab, manche nicht. Drei, zwei, eins. Als hätte man eine Horde Löwinnen in die Wildnis entlassen, stürmen wir los, mehr als 300 andere Frauen und ich.

Wir alle nehmen an diesem heißen Morgen am „Women’s race“ in der jordanischen Hauptstadt teil. Die Strecke führt uns bei mehr als 30 Grad im Schatten über die unbarmherzigen Hügel Ammans. Einige Frauen geben von Anfang an das Tempo vor, sie wollen sich einen Platz auf dem Podium sichern. Andere lassen es gemütlich angehen. Für sie stehen der Spaß und die Bewegung im Vordergrund. Aber ein Ziel eint uns alle: Wir wollen Frauen feiern – für ihre Stärke, ihre Lebensfreude, ihre unbändige Energie. Ich kann mir keinen besseren Ort dafür vorstellen als Jordanien.

Es ist Juni 2024. Die Hitze flimmert schon am frühen Morgen durch die Straßen von Amman. Zum dritten Mal lebe und arbeite ich für einige Wochen als freie Autorin in der jordanischen Hauptstadt mit rund 4 Millionen Einwohnern. Als ich hier ankam, waren meine Batterien leer. Nach rastlosen Monaten zwischen Namibia, Saudi-Arabien und Deutschland fühlte ich mich ausgebrannt. Es dauert nicht lange, bis ich mich in Jordanien wieder lebendig fühle. Ich sauge alle Eindrücke auf wie einen lang ersehnten Sauerstoffschub: das Essen, die lebendige Kunst- und Kulturszene Ammans, die sagenhaft schöne Natur außerhalb und die Architektur innerhalb der Stadt.

Weltwunder und wieder Appetit

Der Rhythmus der Sonne bestimmt meinen Alltag. In der Morgendämmerung, wenn es auf den Straßen noch ruhig ist, gehe ich joggen. Meine Routen führen mich die Hügel Ammans hinauf und hinunter. Vorbei an blühenden Bougainvilleas, streunenden Katzen und an Häusern, die mit ihren Marmorsäulen und kunstvollen Verzierungen an Paläste erinnern. Mein Verlobter und ich haben eine kleine Wohnung in Abdoun gemietet, einem Viertel im wohlhabenden Westen Ammans. In keinem anderen Stadtteil ist die Dichte der Botschaften so hoch wie hier. Bei Expats ist es wahrscheinlich auch deshalb eines der beliebtesten Viertel. In einem der vielen Cafés oder bei den regelmäßigen Lauftreffs findet man schnell Anschluss. Es ist sicher, und dank zuverlässigem Wifi gibt es viele Adressen, die sich zum Arbeiten eignen. Oder zum Lesen und Leute beobachten.

Allerdings ist Abdoun auch eines der teuersten Viertel Ammans: Umgerechnet bis zu 5 Euro für einen Cappuccino sind keine Seltenheit. Zwar kann man in anderen Teilen der Stadt deutlich günstiger leben. Doch wer einen Aufenthalt in Jordanien plant, sollte allgemein mit vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten rechnen. Eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsunternehmens Ipsos zeigt, dass die steigenden Preise mehr als der Hälfte der Bevölkerung Sorgen bereiten.

Jordanien kämpft mit tiefgreifenden Strukturproblemen. Dem Land mangelt es an natürlichen Ressourcen, die Industrie ist nur schwach entwickelt, die Wirtschaft strauchelt seit Jahren. Dazu kommt eine schwere Wasserkrise. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem unter den jungen Einwohnern und Einwohnerinnen.

Der Tourismus ist eine der wenigen tragenden Säulen des Landes. Doch obwohl Jordanien Attraktionen wie das Weltwunder Petra zu bieten hat, hat sich auch dieser Sektor in den vergangenen Jahren als fragil erwiesen. Erst kam die Covid-19-Pandemie. Nun hält der Israel-Gaza-Krieg die Touristen vom Königreich fern. Immer wieder treffe ich Uber-Fahrer, die mir erzählen, dass sie eigentlich als Reiseführer arbeiten. Seit Oktober 2023 sind die Buchungen selten geworden. „Wir versuchen, den Menschen im Ausland zu zeigen, dass es in Jordanien friedlich ist“, erzählt einer. „Aber sie sehen die Reisewarnungen und haben Angst.“

Auch ich hatte das Königreich im Nahen Osten lange nicht auf dem Radar, hielt es für gefährlich und verschlossen. In Namibia hörte ich zum ersten Mal von der Magie Jordaniens. Eine Britin, die als Beraterin für das jordanische Königshaus gearbeitet hatte, erzählte mir von ihrer Zeit in dem Land. Als sie von den warmherzigen Menschen und der atemberaubenden Landschaft sprach, leuchteten ihre Augen. „Ich habe jede Sekunde geliebt“, sagte sie. Ihre Erzählungen haben mich überrascht und neugierig gemacht. Damals wusste ich noch nicht, dass ich knapp ein Jahr später selbst das Land erkunden würde – und mich wie die Britin in Jordanien verlieben würde, vor allem in Amman.

Was der Metropole an Glamour fehlen mag (wobei man auch den finden kann, etwa im Stadtteil Al Abdali), macht sie mit Authentizität, Herzlichkeit und Kreativität wett. All das findet man geballt in Jabal al-Weibdeh, einem der ältesten Stadtteile Ammans. Die charmanten Cafés und Galerien, Bars und Restaurants und die entspannte Atmosphäre machen das Viertel bei Einheimischen und Reisenden gleichermaßen beliebt. Jabal al-Weibdeh zieht mich an wie ein Magnet. Während ich im „Rumi Café“ sitze und dem beruhigenden Rhythmus der Gespräche auf Arabisch, Französisch und Englisch lausche, spüre ich, wie sich die Schreibblockaden und Anspannungen der letzten Monate lösen. Mein Appetit kehrt zurück. Auf das Leben, auf Abenteuer und auf jordanisches Essen.

Yallah, yallah

An einem heißen Sommerabend stehe ich mit meinem Verlobten auf der Dachterrasse von „Beit Sitti“, übersetzt „Großmutters Haus“. Bei einem Kochkurs wollen wir lernen, traditionelle arabische Gerichte zuzubereiten. Angeleitet werden wir von energiegeladenen Frauen wie Nadja, die jeden meiner Handgriffe beobachtet und mich immer wieder mit „Yallah, yallah“ und „Faster, faster“ anfeuert.

Drei jordanische Schwestern haben „Bei Sitti“ nach dem Tod ihrer Großmutter gegründet. Mit den Kochkursen halten sie die Erinnerung an sie wach. Zugleich geben sie Reisenden wie uns die Möglichkeit, die jordanische Kultur mit allen Sinnen zu erleben. Wir stampfen Knoblauch und geräucherte Auberginen, rühren reichlich Olivenöl, Tahini und Granatapfelmelasse unter, würzen mit frischem Koriander und Minze. Während der Sonnenuntergang den Himmel über Amman in fast kitschig schöne Orange- und Rosatöne taucht, essen wir auf der Dachterrasse unser hausgemachtes Menü. Es gibt Brot mit Mutabal – einen Dip aus Auberginen und Joghurt -, Ofengemüse und Maqluba, ein traditionelles Reisgericht, das wir an diesem Abend mit Hähnchen und Auberginen zubereiten. Übersetzt heißt Maqluba „verkehrt herum“: Es wird direkt aus dem Topf auf den Teller gestürzt. Nadja braucht gar nicht zu fragen, ob es uns schmeckt. Still beobachtet sie uns beim Essen und lächelt siegesgewiss.

Seit meinem ersten Aufenthalt 2022 ziehen sich Begegnungen mit inspirierenden Frauen wie ein roter Faden durch meine Zeit im Land: Frauen, die trotz aller Widerstände ihre Ziele verfolgen und so zu einer besseren Gesellschaft beitragen. Obwohl Jordanien als eines der liberalsten Länder der Region gilt, belegt das Land im Global Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums nur Platz 123 von 146 Ländern. Die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen ist gering. In vielen Teilen der Gesellschaft sind sie bis heute an das traditionelle Rollenmodell der Ehefrau und Mutter gebunden. „In Jordanien gibt es Geschlechterstereotype und soziale Erwartungen“, erzählt mir die junge Jordanierin Hana. „Aber diese Stereotypen ändern sich, und die Vorstellungen darüber, was Frauen tun sollen und was von ihnen erwartet wird, werden immer vielfältiger.“

Hana ist eine der Taucherinnen der Initiative „Project Sea“, die im Roten Meer Müll sammeln. Kurz darauf lerne ich eine Architektin kennen, die Amman mit Mini-Wäldern grüner machen will, außerdem eine Kooperative von Klempnerinnen, die Jordaniens kostbares Wasser schützen will und unter anderem in Schulen und Moscheen aufklärt. Und natürlich die Läuferinnen, die jetzt beim Frauenlauf die steilen Hügel der Strecke erklimmen. Die Sonne brennt vom Himmel, und in mir brennt meine Lunge. In den letzten 25 Minuten habe ich bei jedem Schritt gegen den Drang angekämpft, einfach stehen zu bleiben oder wenigstens zu gehen. Dann erinnere ich mich an die Kraft und den Stolz der Frauen, die mir in Jordanien begegnet sind. Und laufe weiter.


Annika Goodwin …

… hatte 2021 ihren Job in Frankfurt gekündigt, um fortan als freie Autorin in Namibia zu leben. Dann bekam ihr Freund ein überraschendes Jobangebot aus Saudi-Arabien. Seitdem pendelt sie zwischen dem Süden Afrikas und dem Nahen Osten, immer auf der Suche nach neuen Geschichten.

 

Info Destination

Jordanien ist eine Erbmonarchie im Nahen Osten. Mehr als 97 Prozent der Bevölkerung bekennen sich zum Islam. Das Land verfolgt eine betont tolerante Politik gegenüber anderen Religionsgemeinschaften. Knapp 2 Prozent der Bevölkerung sind christlich.

Das Haschemitische Königreich ist stark vom Tourismus abhängig. Zu den beliebtesten Reisezielen zählen die rote Felsenstadt Petra – eines der neuen sieben Weltwunder – oder das Wüstental Wadi Rum, das seit 2011 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Beide Attraktionen bilden zusammen mit der Küstenstadt Aqaba am Roten Meer das sogenannte Goldene Dreieck des Landes. Weiter nördlich liegen das Tote Meer, die Ruinenstätte Gerasa sowie die Hauptstadt Amman mit dem römischen Theater und der Zitadelle.

Lage und Bevölkerung: Jordanien liegt im Nordwesten der Arabischen Halbinsel. Das Land ist etwa so groß wie Portugal. Es grenzt an Israel, Palästina, Syrien, Irak, Saudi-Arabien und, getrennt durch das Rote Meer am Golf von Akaba, Ägypten. Das Königreich wird wegen seiner Vermittlerrolle in der fragilen Region als „Schweiz des Nahen Ostens“ bezeichnet. Seit Beginn des Israel-Gaza-Krieges haben allerdings auch in Jordanien die Spannungen zugenommen. Vor allem in Amman und anderen Städten kommt es zu Demonstrationen. Nahezu die Hälfte der rund 11 Millionen Einwohner hat einen Fluchthintergrund. Der Großteil der Menschen stammt aus Palästina, Syrien und Irak. Von Reisen in das syrisch-jordanische Grenzgebiet, in den Nordosten des Landes und in die Grenzregion zu Irak rät u.a. das deutsche Auswärtige Amt dringend ab.

Währung: 1 Jordanischer Dinar = 1,35 Euro

Anreise: Die nationale Fluggesellschaft Royal Jordanian und Lufthansa fliegen täglich direkt von Frankfurt nach Amman.

Bleisure Tipps

Unterwasserparadies Aqaba: Wer tauchen, schnorcheln oder einfach nur das Meer genießen will, sollte Aqaba im Süden des Landes besuchen. Der jordanische Küstenstreifen misst zwar nur 26 Kilometer und doch leben hier Hunderte von Korallen- und Fischarten, zum Beispiel Clown- und Kugelfische. Zum Entspannen und Genießen an Land eignet sich besonders die „Ayla Oasis“: Von den „Cloud 7“-Apartments blickt man direkt auf den Yachthafen am Roten Meer. Im angrenzenden Marina Village laden zahlreiche Restaurants und Bars zum Ausgehen ein.

Kulinarisches Amman
Das beste Falafel-Sandwich gibt es Locals zufolge bei „Al-Quds“. Ein Sandwich kostet umgerechnet nicht einmal 1 Dinar. Bilder des Königs und der Herrscherfamilie zieren das Äußere und Innere der kleinen Bude. Spätestens seit dem Besuch der Monarchen hat Al-Quds in Amman Kultstatus.

Fast genauso kultig ist das erste Internetcafé der arabischen Welt. „Books@Café“ ist Kunstatelier, Buchhandlung, Restaurant und Rooftop-Bar in einem. Zum Brunch gibt es Klassiker wie Manakeesh (arabisches Fladenbrot mit verschiedenen Toppings), zum Dessert hausgemachte Kuchen oder gefüllte Crêpes. Mit seiner entspannten Atmosphäre und gutem WLAN eignet sich „Books@Café“ auch gut zum Arbeiten. 
Außerdem für Remote Work empfehlenswert: Das „Rumi Café“, „ManaraArts & Culture“ und „Maisha’s Breakfast and Bakery“ im Stadtteil Jabal al-Weibdeh, ebenso wie „Mélange“ und „Majnoon Qahwa“ in Abdoun.

Traditionelles jordanisches Essen gibt es zum Beispiel bei „Sufra“ in der belebten Rainbow Street. Ein Klassiker ist das Nationalgericht Mansaf: Reis und Lammfleisch, serviert in einer Sauce aus fermentiertem und getrocknetem Jameed (Joghurt aus Ziegenmilch). Wer Lust auf jordanischen Wein hat, ist auf dem Abdali Boulevard richtig: Hier lädt das Weingut „Jordan River“ in seinem Tasting Room zur Verkostung ein.

Wanderabenteuer abseits der Massen
Jordanien ist ein Paradies für Wanderer. Der „Jordan Trail“ durchzieht das gesamte Land: Über mehr als 675 Kilometer führt der 2015 eröffnete Fernwanderweg von Um Qais im Norden des Landes bis nach Aqaba im Süden.

Für einen Tagesausflug lohnt sich eine Fahrt zum Wadi Ghuweir im Dana-Naturschutzgebiet, etwa zweieinhalb Stunden von Aqaba entfernt. Besucher parken auf einer Schotterpiste und folgen dann einem Wasserlauf, der durch beeindruckende Schluchten führt. Achtung: Hier gibt es absolut nichts – keinen Kiosk, kein Sicherheitspersonal, keine Toiletten.

Ein weiteres Outdoor-Highlight: Im Wadi Himara wandert man durch eine ungezähmte Landschaft mit Palmen und roten Felsen. Zwischendurch kommt man immer wieder an Wasserfällen vorbei. Der Trail beginnt unweit des Toten Meeres und ist auch von Amman aus gut zu erreichen.

Fotos: © Annika Goodwin

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