„Reisen und Arbeiten, ohne einen festen Wohnsitz zu haben – und das mit einem zwölfjährigen Kind? Das geht, wenn auch mit Hürden, allen voran: Kopfkino. Meine erste Nomadenstation war im letzten Jahr Thailand.“ Nina Winkler, Journalistin und Fitnesstrainerin
Meine Entscheidung fiel Ende 2021, und sie kam schleichend. Nach zwei Jahren Covid-Zirkus, ständigen Fluchtgedanken, Getrenntsein von der südafrikanischen Familie und anderen nervigen Einschränkungen wurde das Bild immer konkreter. Was als vages Gefühl begonnen hatte, setzte sich durch – und die Reiselust als Quelle der Transformation und Entwicklung siegte. Mein Entschluss stand fest: Wir verlassen Deutschland, mit allen Konsequenzen. Aber bevor die Koffer gepackt werden konnten, mussten noch einige Dinge geklärt werden. Allen voran: Lässt sich dieses Vorhaben mit einem schulpflichtigen zwölfjährigen Kind umsetzen?
Alles geht auch online
Die Antwort lautet: Ja, wenn man kompromisslos seinen Wohnsitz aufgibt, denn Deutschland erlaubt keine Online-Beschulung (welche Ironie nach den Verfehlungen während der Pandemie!). Da ich ein Yoga Retreat im November 2022 in Krabi geplant hatte, stand der erste Stop unserer Nomadenreise fest – und es war genug Zeit zum Planen und der Recherche von Onlineschule-Optionen für James. Meine Arbeit war ohnehin schon seit Jahren remote möglich: Magazinartikel und Bücher lassen sich schließlich überall auf der Welt schreiben … Digital Nomad Lifestyle, here we come!
Frei wie ein Vogel
Mein Sohn war zunächst etwas skeptisch, er erkannte aber schnell das wachsende Maß an Freiheiten, die ihm dadurch zuteil wurden: Online-Schule, dauerhaft Trainingshosen tragen, ständig an coolen Orten sein und viel erleben, die Mama immer in der Nähe, lauter neue Sportarten ausprobieren, neues leckeres Essen versuchen – es war bald nicht sehr schwer, ihn von der Vorteilen eines mobilen Lebens zu überzeugen. Und dann kam der Realitätscheck.
Loslassen kostet Kraft
Behördengänge, Kündigungen, Umzug und die Umrüstung auf den digitalen Lifestyle waren kein Leichtes: Bald schon hatte ich keinen einzigen Versicherungsvertrag mehr, keine Wohnung, keine Nebenkosten und kein Auto mehr. Dafür nennen wir nun einen mobilen Router und ein super ausgestattetes Schul- und Spiel-Laptop unser Eigen. Die Abmeldung aus Deutschland markierte einen wichtigen Wendepunkt für uns: James ist seit Januar 2022 bei einem deutschsprachigen Online-Gymnasium angemeldet und absolviert seinen Unterricht seitdem ausschließlich online.
Keine Bücher, kein Papier: Das war anfangs eine große Herausforderung. Ein MS Teams-Account wollte verstanden, Disziplin und eine sehr strukturierte Arbeitsweise mussten schnell erlernt und umgesetzt werden. Aber diese Hürde nahm mein Sohn recht zügig und ist mittlerweile top organisiert. Das Gute für mich als Mutter: Ich kann über meinen Eltern-Account alles einsehen und regulierend einschreiten, bevor sich ein Problem wochenlang unbemerkt aufbaut. Weiterer Bonus: Die Schulleitung ist unfassbar nett und die Lehrer kritikfähig. Die Herren Berner leiten ihre Wilhelm-von-Humboldt-Schule extrem kompetent und freuen sich über Interesse an ihrer Schule: Für uns ist es das beste Gymnasium bisher, und es macht Spaß, sich mit der Schule zusammen zu entwickeln und neue Wege zu gehen.
Auf nach Krabi!
Schnell kam der November, und es ging los: Thailand empfing uns wie erwartet mit offenen Armen. Wir durften nach einem halbwegs angenehmen Langstreckenflug mit Thai Airways nach Krabi via Bangkok in der tropischen Oase Aonang Cliff View einchecken und dort eine Woche lang inmitten von riesigen Bananenstauden, Palmen und Urwaldgeräuschen verbringen. Dies Tsunami sicher etwas vom Meer entfernt, an einer malerischem Felskulisse gelegen.
Leider hatten wir die Regenzeit unterschätzt: Sehr schnell wurde klar, dass ich die blauen, müllsackartigen Regencapes nicht umsonst eingepackt hatte und dass das Wetter auch mindestens vier Wochen stark von Regen geprägt sein würde. Gut, dass wir unseren Tag selbst planen konnten und nicht von Schul- oder Arbeitszeiten abhängig waren. Tolle Rollertrips und sonnige Nachmittage im The Boat Café trösteten uns ein wenig darüber hinweg. Nach einer Woche Regen hat es uns dann trotzdem gereicht, und wir brauchten einen Platz, der mehr von Sonne geprägt war. Also entschieden wir uns für die Weiterreise …
Mobil bleiben ist alles
Auf Koh Samui wurden wir überrascht: Nach einer angenehmen Fahrt mit Minibus und Fähre von Krabi über Surat Thani nach Koh Samui durften wir die Freundlichkeit des thailändischen Ressortmanagers Leo im Am Samui Resort genießen – für wenig Geld bot er uns ein drastisches Upgrade, weil noch Nebensaison war: Wir konnten also traumhafte zwei Wochen in einem Oktagon mit vier Glaswänden direkt am Strand verbringen, hatten dort unverbauten Zugang zum Meer, und es kam noch besser: Das Muay-Thai-Studio war genau nebenan!
Sport ist bekanntermaßen ein sehr großer Bestandteil meines Lebens, Flexibilität ist mir aber ebenso wichtig: Also musste natürlich auch hier auf der Insel wieder ein Roller her! Gut zu wissen: Die Flitzer, die wahlweise von Honda oder Yamaha stammen, sind allesamt 125-er und erfordern somit (theoretisch) einen Motorrad-Führerschein. Obwohl die Helme hier mit Sicherheit keinen TÜV kriegen würden, bestand ich als verantwortungsvolle Mutter natürlich auf die Dinger. Da ich keine Kopfläuse mag, wurden die Helme vorher gründlich desinfiziert und anschließend mit Buff darunter aufgesetzt. Sieht doof aus, aber die Kopfschützer sind dort alle ohnehin ohne Style.
Das Wetter ist auf den Inseln übrigens komplett anders getaktet als an der Andamanen-Küste, wo wir zuvor waren: Hier regnet es eher zu Beginn des Jahres, im November und Dezember dagegen ist es relativ trocken. Die Güsse hielten sich Ende Oktober, Anfang November also in Grenzen. Ich schrieb, wenn es regnete, und erkundete mit James die Insel, wenn es sonnig war.
Internetpower pur
Remote arbeiten ist in ganz Thailand übrigens unfassbar unproblematisch: Mit einer Datenkarte für’s Handy, die zwei Monate gültig ist, kann man für unter 20 Euro mit unlimited Speed surfen und für zwei Laptops locker auch einen Hotspot einrichten, wenn man wie wir einige Stunden im Bus überbrücken muss. Jedes Hotel, aber auch jede Bruchbude von Bambushütte hat superschnelles WLAN, und viele bessere Hotels sind mit Smart-TV-Geräten ausgestattet. Den mobilen Router mussten wir nicht ein einziges Mal während der gesamten zwei Monate einsetzen!
Hart, aber herzlich
Auf Koh Samui fanden wir das Innere der Insel sehr reizvoll: Stundenlange Rollertouren durch teilweise wildes, sehr schlecht zugängliches Gebiet wären eher der Fall für waschechte Motocross-Motorräder gewesen. Aber wir haben auch unseren Mietroller gnadenlos jede noch so unbefestigte Straße rauf- und wieder runtergescheucht. Inmitten der Insellandschaft finden sich tolle versteckte Highlights wie das Seaview Restaurant, das einen Besuch absolut wert ist. Hier haben wir mehrere Stunden bei sehr freundlichen Menschen mit phantastischem Meerblick verbracht, den wir in dieser Form eigentlich nur vom Conrad-Hotel kannten.
Auch Koh Phangan mussten wir natürlich einen Besuch abstatten: Allerdings nicht für die Fullmoon-Party, sondern um ein Yogaretreat-Center zu besuchen, bei dem ich ein Retreat anbieten werde. Das Orion Healing Center besticht nicht nur mit seiner tollen Lage direkt am Meer, sondern hat mich mit der veganen Küche von Chefkoch Cooper schwer begeistert. Leider hatten wir nur einen Tag auf dieser wunderschönen Insel: Nächstes Mal werden wir sicher mehr Zeit auf der deutlich weniger belebten, sehr naturnahen Insel verbringen! Vielleicht halte ich hier mal ein Yoga-Retreat ab.
Wieder unter Menschen
Nach unserem Freelancer-Trip mit vielen Schreibaufträgen war ich als Yogalehrerin für ein Gruppenretreat gebucht: In Krabi durfte ich über 20 Damen im wunderschönen 5-Sterne-Hotel Anana Krabi unterrichten. Was für ein Erlebnis – aber auch wirklich anstrengend, wenn man es mit so vielen unterschiedlichen Charakteren zu tun hat.
Anschließend stand im selben Hotel noch ein Private Retreat mit einer lieben Einzelkundin auf meinem Arbeitsplan: Zehn Tage lang konnten wir ihre Yogapraxis intensiv bearbeiten, und sie lernte viele fortgeschrittene Haltungen. Traumhafte Ausflüge, beispielsweise zu einem Elephant Sanctuary, in dem gerettete Arbeitselefanten ein Leben ohne Stress genießen dürfen, unterstrichen diese Zeit des spirituellen Wachstums optimal.
Mein Thailand-Fazit: Der Süden ist meiner Meinung nach für digitale Nomaden und vor allem auch für Einsteiger des mobilen Lifestyles perfekt geeignet! Die Internetanbindung war immer top. Hygienisch darf man keine europäischen Standards anlegen, aber mit einem zugedrückten Auge und vor allem dem Blick aufs Preis-Leistungs-Verhältnis ist es mehr als in Ordnung. Als Frau habe ich mich jederzeit sicher gefühlt, als Mutter nie Bedenken in puncto Sicherheit gehabt. Unbedingt hinfliegen!
Nina Winkler …
reiste anschließend für zwei Wochen ins kalte Dezember-Deutschland und war froh, dass ihr Sohn und sie da schon die Tickets für den nächsten Nomadentrip nach Kapstadt in den Händen hielten. Über die Erlebnisse bei ihrer Nomad-Tour in Südafrika wird sie bald bei uns im Bleisure Traveller berichten, als „Nina in Nomad Land, Teil 2“.
Fotos: © Nina Winkler