„Ob bei Angestellten, Unternehmen oder Selbständigen – Bleisure- und Workation-Optionen wachsen stetig weiter. Tourismusdestinationen und Hotelanbieter haben darauf bereits mit spannenden Konzepten reagiert. Ein kleiner Streifzug.“
Sylvie Konzack
Ihre Schuhe haben alle hinter der Haustür ins Regal gestellt, obwohl sie es nicht müssten. Ein Gast hat sich in das schalldichte Video-Call-Zimmerchen zurückgezogen, ein anderer liegt mit dem Laptop in der Hängematte im Garten. Und der nächste steht am Pult auf dem Balkon mit Blick auf nichts als Südtirol (siehe auch diesen Beitrag). Ob Vorstand, Angestellte, Freelancer – jeder hat bei „Franz & Mathilde“ auf kleinem Raum seinen Platz und kann, aber muss nichts gemeinsam unternehmen.
Die Gastgeber Sarah Tribus und Philipp Gems sind junge Innenarchitekten und „Franz & Mathilde“ die Namen von Sarahs Großeltern, die die Pension einmal geführt hatten. Vor wenigen Jahren haben Sarah und Philipp den Sechziger-Jahre-Charme der Sechs-Zimmer-Pension mit viel modernem Wohlfühlgeschmack zu einem Workation-Konzept umgewandelt. Der Switch hat sich gelohnt: Das Haus ist heute fast immer voll. Alle Gäste bleiben mindestens zwei Wochen, einige wollen mehrere Monate das „Auswandern auf Zeit“ in Südtirol genießen. Jeder Gast ist dabei sein eigener „Workation-Herr“. Und wer will, kann in der Freizeit mit den Hosts auch wandern und biken gehen.
3/4 der Bleisure-Reisen finden im Rahmen von Meetings,
Kongressen, Events und Incentives statt.
Workation-Orte haben mehr als nur einen Schreibtisch und ein starkes WIFI. Das ist für alle, die das Thema leben, klar. Und das verstehen auch immer mehr Anbieter. Das Bergdorf Prechtlgut im Salzburger Land z.B. zählt acht Chalets und Lodges für viel Workation-Raum im Team oder der Familie und bietet zusätzlich Führungskräfte-Coachings durch die Gastgeberin Carina Neumann als ausgebildete Gesundheitspsychologin an. Wenn man in die Städte blickt, dann halten Konzepte wie Lyf ein spannendes Co-Living als Workation bereit: Im neuen Haus in Wien z. B.., dem Lyf Schönbrunn Vienna (F.l.), geht es von der Lobby in einen Hof mit mehreren Häusern: Sie beherbergen
162 Apartments telweise im Maisonette-Stil, dazu drei Community Kitchen, eine Coworking-Lounge und etliche Terrassen auf den Dächern. Außerdem gibt es je einen Fitness- und Meetingraum – nach dem Motto „Share the day“.
Anbieter wie „Franz & Mathilde“ organisieren sich zugleich in Vereinen wie CoworkationAlps. Initiator des Vereins ist die Regionalentwicklung Oberland KU aus Bayern als Wirtschafts- und Tourismusförderung – ein Koopeationsmodell, das fernab von zweckentfremdeten Wohnungen in vielen Großstädten zu einem gesunden Wachstum mit vielfältigen Strukturen beitragen soll.
Neue Arbeit braucht neue Orte und Formate.
Vanessa Thielemann, Founder of Brali
Auch das deutsche Bundesland Brandenburg fördert mit der TMB TourismusMarketing Brandenburg das Thema Workation und Bleisure mit Veranstaltungen unter Tourismusakteuren und Investoren. Gerade fand ein Summit nahe Berlin im 360 Grad Bleisure-Resort (siehe auch diesen Beitrag) statt, zu dem auch der Bleisure Traveller als Redner eingeladen war. Das Convention Bureau Rheinland-Pfalz hatte wiederum das Jahr 2023 zum Bleisure-Themenjahr gemacht und ein Stay-Longer-Angebot für Hotels gestrickt. Und auch die Schweiz zeigt mit gezielten Bleisure-Angeboten derzeit vermehrt Flagge beim Thema.
Neue Zielgruppen, mehr Nebensaison
Laut der Newoka II-Studie, die Workation.de veröffentlicht hat, gehen zwei Drittel der Unterkünfte, die mit Workation erste Erfahrungen gesammelt haben, davon aus, dass die Nachfrage hier stärker zunehmen wird. Die meisten sehen darin eine Möglichkeit, neue Zielgruppen für sich zu gewinnen und auch die Nebensaison stärker zu bespielen. 55 % der Unterkünfte unterstützen Team-Aktivitäten aktiv, indem sie zumeist Angebote über externe Anbieter bereitstellen. Ein Drittel veranstaltet sie selbst. Und generell berichten 37 % der Unterkünfte von einer leichten bis starken Zunahme an Workations (Grafik o.), während 66 % davon ausgehen, dass Workation in den nächsten Jahren im Allgemeinen stärker als bisher nachgefragt wird.
Als große Aufgabe und zugleich gern übernommene Investition empfinden die meisten Befragten die technische Ausstattung mit ausreichender Internetkapazität und Arbeitsplätzen. Fragt man Experten wie den Geschäftsreiseverband VDR, dann setzen diese dahinter ein großes Ausrufezeichen und empfehlen Hotel- und Serviced-Apartment-Anbietern auch Dockingstationen, technischen Support und vielleicht auch Möglichkeiten, Arbeitszeiten zu registrieren. „Der Zugang, sprich die Prozesse dahinter, müssen einfach sein und einfach in das Travel Management zu integrieren sein. Zudem sollte das Preisniveau vernünftig sein, damit man neue Angebote auch eher ausprobiert“, so VDR-Hauptgeschäftsführer Jens Schließmann (s. Interview).
„Neue Arbeit braucht neue Orte und neue Formate“, sagt Vanessa Thielemann, Gründerin von Brali Team Retreats & Offsites. Je mehr remote gearbeitet wird, desto wichtiger seien auch regelmäßige Treffen, um die Unternehmensvision zu transportieren.
Und Bleisure? Laut einer Studie von Prof. Dr. Peter Neumann von der IU International University haben schon heute über 30 % der befragten Touristiker spezifische Bleisure-Angebote entwickelt, und fast ebenso viele haben sich mit externen Partnern zusammengeschlossen. Deutschland ist 2023 als Geschäftsreiseland Nr. 1 auch Bleisure-Land Nr. 1 in Europa gewesen, so die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) und das German Convention Bureau (GCB). 75 % hatten dabei vorher einen Kongress o.ä. besucht. Die DZT will nun Bleisure noch mehr fördern – auch weil der CO2-Fußabdruck der Geschäftsreisenden sinkt.
Sylvie Konzack …
… war im Sommer drei Tage mit dem Verein CoworkationAlps und damit mit Anbietern unterwegs gewesen. Sie war begeistert von den sich immer vielfältiger entwickelnden Workation-Optionen im Bereich Hotellerie,Co-Retreats, Tagung und Co-Working.
Foto: © iStock.com/LeoPatrizi, Sylvie Konzack