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UnkategorisiertWas ist Bleisure?
Bleisure-Trends

Bleisure boomt und bleibt

Die Veränderungen der Arbeits- und Lebenswelten haben auch das Geschäftsreisen erfasst. Bleisure ist dabei mehr als nur der Wunsch nach mehr Freizeit.Sylvie Konzack

Coconat RetreatMitten in der brandenburgischen Provinz in der Hollywoodschaukel sitzen, arbeiten und danach Pilze sammeln gehen? Was unspektakulär klingt, hat der „Tourismuspreisträger 2019“ Coconat für die Geschäftsreisewelt salonfähig gemacht. Denn das „Workation Retreat“ bringt fernab ­klassischer Tagungshotels auf dem Gutshof Glien, eine Stunde von Berlin entfernt, den Metropolentrend Co-Working und Co-Living aufs Land. Das Angebot reicht von gemeinsamen Essen und Lagerfeuer über Gartenarbeit und Yoga bis hin zur Übernachtung im Hotelzimmer, Schwebezelt oder in der Schlafbox. Im Durchschnitt bleiben die Gäste im Coconat fast fünf Tage, manche sechs Monate, etwa die Hälfte kommt aus dem Ausland. Und: Sie alle treffen auf die Feuerwehr oder den Dorfverein, die die Räume kostenlos mitnutzen können.

Orts- und Perspektivenwechsel Lanzarote: Sven Korhummel, Geschäftsführer der Agentur ­Cyperfection, hat auf der Kanareninsel für sechs Monate ein „Pop-up-Office“ für seine Mitarbeiter eröffnet. Damit soll sich jeder in seinem Job abseits des Büroalltags neu ausprobieren und weiterentwickeln können. Hier leben und arbeiten bis zu sechs Mitarbeiter in wechselnden Teams in einer Ferienvilla mit großem Garten, Pool und Terrasse. Freizeitmöglichkeiten inklusive.

Entspannter beim Kunden

Die Arbeitswelt ist in Bewegung. Das Warum, Wo und Wie wird gerade vielerorts neu ver­handelt, das Arbeiten zugunsten von mehr Freiraum und Flexibilität mit den veränderten ­Lebenswelten neu abgestimmt. Geschäftsreisen wandeln sich dabei vom Hin-und-schnell-­wieder-zurück zu Gelegenheiten, private Auszeitstunden und -tage an den Businesstrip anzuhängen. Eine wachsende Zahl an Unternehmen steht dem Thema bereits aufgeschlossen gegenüber. Die HR-Abteilung der Merck-Gruppe in Darmstadt zum Beispiel bringt es wie folgt auf den Punkt: „Wenn vorrangig der Erfolg der Geschäftsreise im Vordergrund steht und dem Unternehmen keine höheren Kosten entstehen, warum nicht?“ Und wenn mit dem Flugzeug gereist würde, spare­ man auch Emissionen, „da der Mitarbeiter nicht separat die Flugreise antreten muss“. Verlängerte Aufenthalte seien zudem mit niedrigeren Flugpreisen verbunden. Auch Florian Storp, Vice President Central Europe bei American Express Global Business Travel und Vorsitzender des DRV-Ausschusses Business Travel, sieht viele Vorteile: „Wer nach dem Termin nicht sofort zum Flughafen hetzen muss, ist auch beim Kundentermin entspannter.“ Zugleich nehme durch Landes- und Ortskenntnisse das Kundenverständnis zu.

Brera Serviced Apartments
Brera Serviced Apartments Frankfurt, Photo by: RemydeKlein.com ©

Der zunehmenden Offenheit von Firmen und Verbänden steht ein enormes Mitarbeiterbedürfnis gegenüber. Fast drei Viertel (72 Prozent) der Geschäftsreisenden haben schon heute eine Bleisure-Reise unternommen, so die Studie „Chefsache Business Travel 2019“, eine Initiative von Travel Management Companies im Deutschen Reiseverband (DRV). Wer öfter als dreimal pro Monat beruflich unterwegs ist, nutzt besonders oft Bleisure-Optionen (80 Prozent). Vor allem Geschäftsführer und Vorstände: Acht von zehn kombinieren Dienstreisen mit einem Kurzurlaub, während es bei angestellten Fach- und Führungskräften etwa zwei Drittel sind. Und wer hätte es anders vermutet: Young Professionals haben im Altersvergleich das größte Interesse an Bleisure. Laut Studie von SAP Concur 2018 interessieren sich in Deutschland 44 Prozent der 18- bis 29-Jährigen dafür, bei den über 40-Jährigen sind es 25 Prozent.

Neue Möglichkeiten für Reiseanbieter

Der Bleisure-Umfang ist bisher, laut „Chefsache Business Travel 2019“, vielfältig – sei es, indem man ein paar Stunden später abreist (ca. 30 Prozent), mit dem Partner oder Freunden private Zeit im gleichen Hotel verbringt (21 Prozent) und eine oder mehrere Übernachtungen anhängt (ca. 50 Prozent). Rund 72 Prozent wechseln dafür nicht das Hotel, hat eine Umfrage der Great Hotels of the ­World ergeben (siehe Grafik). Die ca. 50 unabhängigen Luxushotels der Vereinigung setzen daher darauf, nicht nur business-, sondern auch freizeittauglich zu sein. Die Privathotels bieten „einen Sinn für Ort und Geschichte“ samt ortskundiger Concierges oder befinden sich nahe Touristenattraktionen, sie verfügen aber auch über „gemeinschaftliche Arbeits- und Entspannungsräume“, informiert CEO Pedro Colaco.­ ­

Survey GHOTW 2019

Die Meliá Hotels wiederum, die sich als Freizeithotels verstehen, machen ihren Geschäftsreisenden in Stadthotels explizit Bleisure-Angebote mit einer „Vielzahl an Erlebnissen und unserer mediterran inspirierten Servicekultur“, sagt Gabriel Escarrer, Executive Vice President und CEO.

Und auch für das Trendsegment der Serviced Apartments, in denen Berufstätige oft projektbezogen oder als „Neuling“ in der Stadt mehrere Wochen wohnen, ist Bleisure ein vielerorts gelebter Teil des Konzepts. „Das Bleiben gehört zur DNA von Serviced Apartments, genauso wie die wohnliche Ausstattung. Denn keiner muss, wie im Hotel, über das Wochenende ein- und auschecken, und man kann Familie oder Freunde unterbringen“, betont Anett Gregorius, Gründerin und Inhaberin von Apartmentservice (Foto). Zu den Anbietern, die sie vermittelt, gehören unter anderem die Adina Hotels. „Unsere Hotels sind die perfekte Bleisure-Unterkunft, da sie nicht nur in jedem Apartment einen Arbeitsplatz bieten, sondern mit Pool, 24-Stunden-Rezeption, eigener Küche und Restaurant die Freiheit geben, jeden Tag individuell zu gestalten“, sagt Adina-Geschäftsführer Georgios Ganitis. Die Brera Serviced Apartments setzen auch auf die Nachbarschaft: „Unsere Langzeitgäste haben das große Bedürfnis, ihre temporären Wohnorte und Umgebungen zu erleben“, so Christiane Anstötz, zuständig für Sales, Marketing & Operation. „Wir sind daher in der Phase, hierfür eine gute, persönliche Lösung zu finden, um spannende und weniger bekannte Tipps mit den Gästen zu teilen.“

Transparenz wird alles

Bleibt für viele die Schlüsselfrage, wer welche Kosten und Versicherungen trägt. Prinzipiell ist die Bereitschaft da, anfallende Mehrkosten für die private Verlängerung der Reise selbst zu übernehmen. 55 Prozent der Arbeitnehmer tragen, laut der DRV-Studie, die zusätzlichen Hotelübernachtungen allein oder mit Partner. Zugleich würde nur jeder Dritte einen höheren Flugpreis für ein späteres Zurückfliegen zahlen. Entscheidend ist, dass Mitarbeiter ihre Arbeitgeber informieren – und Unternehmen in den Reiserichtlinien Verlängerungsoptionen, Kosten- und Versicherungsmodelle missverständnisfrei festlegen. Tendenziell dürfte aber die Erwartungshaltung der Mitarbeiter künftig steigen. Schon jetzt sehen mehr als ein Drittel den Arbeitgeber bei den Themen Reiseversicherung und Sicherheit in der Pflicht, so das Ergebnis einer Befragung der Global Business Travel Association (GBTA) in Partnerschaft mit SAP Concur 2018 unter europäischen Geschäftsreisenden. 36 Prozent finden danach, dass zusätzliche Flugkosten durch die Verlängerung vom Unternehmen getragen werden sollten, 28 Prozent auch zusätzliche Übernachtungskosten. Vor allem jüngere Business Traveller wünschen sich ein Entgegenkommen. Also neue Herausforderungen für viele Unternehmen? Vielleicht, aber manches dürfte auch über die ­Kreativität der Möglichkeiten entschieden werden. Workation Retreats oder Pop-up-Offices ­zeigen bereits heute, was möglich ist.


Sylvie Konzack …

kann sich gut vorstellen, demnächst ein paar Bleisure-Artikel auf der Co-Working-Hängeschaukel in the middle of nowhere zu schreiben und danach den Trip ins anywhere zu genießen. Bleisure ist nachhaltig und kreativ, für den Einzelnen wie für das Unternehmen.

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Fotos: © iStock.com/g-stockstudio, Brera Serviced Apartments, Apartmentservice, Coconat Retreat

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