Was ist Bleisure?

Was ist Bleisure?
BLEISURE

Wieviel Workation & Bleisure darf schon sein?

„Die Theorie klingt für immer mehr Berufstätige spannend, und die Praxis sucht die Umsetzung. Gelingt in Unternehmen derzeit mehr Workation oder Bleisure? Was geht, was bisher noch nicht? Ein Zwischenstand.“ Sylvie Konzack

Weniger Geschäftsreisen, dafür längere, klimafreundlichere, kostengünstigere, und offenbar auch wertschätzendere Dienstreisen – die Business-Travel-Welt ist in Aufruhr, weil vor allem auch die Arbeitswelt in Aufruhr ist. Denn nach der Pandemie und mitten in den neuen Krisen bleibt alles anders. Es geht um neue Bedürfnisse unterschiedlicher Arbeitnehmergenerationen bei einem weitreichenden Mangel an Mitarbeitenden vielerorts. Es geht um die Verheißungen von New Work mit wachsenden digitalisierten Möglichkeiten, die zum Arbeiten von überall aus einladen. Und es geht um das Wirken weiterer Mega-Trends wie Urbanisierung, Globalisierung, Mobilität, Neo-Ökologie, Individualisierung und Gesundheit, wie das Zukunftsinstitut sie beschreibt.

New Work umfasst damit mehr als neue Bürowelten und das mobile Arbeiten für eine bessere Work-Life-Balance. Und es betrifft auch mehr als „nur“ die Bedürfnisse der jüngeren Generationen. Vielmehr geht es auch um die Modernisierung von Mitarbeitermodellen, indem sie mehr Sinn, Motivation oder auch Selbstbestimmung erzeugen. Und um Workation und Bleisure als bereits sichtbaren Teil davon.

Der Trend in steigenden Zahlen

Bleisure bedeutet dabei das private Verlängern der Geschäftsreise um meist zwei, drei Tage am Geschäftsreiseort oder in der Nähe. Dies vor oder nach dem persönlich stattfindenden Termin und dies allein oder mit Freunden oder der Familie. ­Workation, als spezielle Form von Remote Work, verknüpft das Arbeiten an fernen Orten mit Freizeitaspekten und kann einzeln oder im Team unternommen werden. Bei beiden „Blended-Travel-Formen“ geht es für Selbstständige wie auch Angestellte um mehr Flexibilität und Individualität im Job, das Durchbrechen von Routinen, eine bessere Motivation und Work-Life-Balance sowie aus Unternehmenssicht um eine leichtere Mitarbeitergewinnung und bessere Mitarbeiterbindung.

Ob als Themen oder real gelebt – Bleisure und Workation sind nach der Pandemie im Geschäftsreisealltag angekommen. Laut aktueller Geschäftsreiseanalyse des Verbandes Deutsches Reisemanagement e.V. (VDR) dauert eine Geschäftsreise von deutschen Unternehmen und öffentlichen Institutionen mittlerweile im Durchschnitt 2,3 Tage, während es 2019 noch 1,6 Tage waren. Grund ist, dass Termine vermehrt kombiniert werden. Zugleich, so der VDR, zeigt der Trend zum längeren Reisen bei insgesamt weniger Geschäftsreise-Trips, ein steigendes Interesse an Bleisure- und Workation-Reisen. Auch der Corporate-Payment-Spezialist Airplus hat ausgerechnet, dass im letzten Jahr 16,3 % der Flugtickets für einen Samstag oder Sonntag ausgestellt waren – 2019 lag der Anteil noch bei 12,4 %. Schon 2020 hätten, laut Airplus, 90 % der Millenials Bleisure-Reisen ­getätigt, während es in der Generation der Baby-Boomer mit 80 % nicht viel weniger waren. Die Hotelgruppe Accor kommt nach einer Umfrage im Jahr 2022 auf insgesamt zwei Drittel der befragten Geschäftsreisenden, die ihre ­Aufenthalte bereits verlängert haben.

90% der Millenials haben, laut Airplus, schon 2020 Bleisure-Reisen unternommen, 80 % waren es bei den Baby-Boomern.

Der Trend spiegelt sich auch auf der Arbeitgeberseite wider: Die internationale Global Business Travel Association hat zuletzt erfasst, dass 41 % der Travel Manager eine Zunahme des Wunsches nach gemischten Reisen oder Bleisure-Reisen bei ihren Mitarbeitern feststellen. Wiederum Airplus kommt im Zuge einer kürzlichen Befragung von rund 110 deutschen Top-Managern zu dem Ergebnis, dass 46 % von ihnen mit einer deutlichen Zunahme von Bleisure- und Workation-Trips rechnen. „Trotz einiger Herausforderungen scheint sich der Bleisure-Trend zur Norm zu entwickeln“, heißt es bei dem Corporate-Payment-Anbieter. Und Accor Hotels spricht im Rahmen ihres aktuellen Masters of Travel-Report von einem Trend, der über die jüngeren Zielgruppen hinaus auch bald ein breiteres Spektrum erreichen wird.

„Ob als Themen oder real gelebt – Bleisure und Workation sind nach der Pandemie im Geschäftsreisealltag angekommen.“

Blickt man auf die Umfrage der Sprachlernplattform Babbel, scheint dies bereits der Fall zu sein: 76 % der Deutschen würden eine Workation in Anspruch nehmen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Am meisten motiviert sie dabei die Aussicht auf eine gute Work-Life-Balance (68 %) und besseres Wetter (54 %). (s. Grafik S. 18) Entsprechend stehen auf zahlreichen Workation-Rankings das südliche Europa bzw. klassische Urlaubsländer regelmäßig an der Spitze. Aber auch der Wunsch, Freunde und Familie, die am Workation- oder Bleisure-Standort wohnen, zu besuchen, wird genannt. Besonders für Unternehmen mit vielen internationalen Mitarbeitenden entwickelt sich das Thema damit zu einem stark relevanten Bindungsinstrument.

Manche Unternehmen suchen die Öffentlichkeit

Die wachsende Zahl an Studien und vor allem Medienveröffentlichungen zeigt einen offenbar signifikanten Trend zu Bleisure und Workation. Dabei ist Bleisure nicht neu. Privat verlängert mit privater Kostenübernahme wurde es schon immer praktiziert, sagen etliche Geschäftsreisende wie auch Unternehmen. Workation-Optionen bieten wiederum in Deutschland, laut ­einer Personalleiterbefragung des Ifo-­Instituts und von Randstad, bislang 8 % der Firmen ihren Mitarbeitern an. Raoul Dery, der mit newworkation.com Unternehmen bei Remote Work und Workation-Orten berät, stellt fest, dass sowohl kleine Unternehmen als auch Konzerne Workation-Reisen nachfragen, vor allem in den Bereichen IT, Finanzdienstleistung sowie Beratung – und immer mehr machen dies auch öffentlich.

Die Bank ING Deutschland z. B. bietet seit Anfang 2022 mobiles Arbeiten im Ausland an und berichtete gegenüber den Medien, dass sie ein Jahr später rund 700 Workation-Anträge von ihren Mitarbeitenden erhalten hat, die fast alle genehmigt wurden. Jährlich erlaubt sind bei der Bank bis zu 30 Workation-Tage, dies in allen EU-Ländern sowie in Norwegen, der Schweiz, Liechtenstein und Großbritannien.
Der Automobilzulieferer Continental ermöglicht seinen Mitarbeitern in Europa pro Jahr zweimal 20 Tage im Ausland, dies in Deutschland, Norwegen, Schweden, Ungarn und Österreich. 1.400 Menschen hatten das Angebot bislang genutzt. Jeder Antrag durchläuft eine Einzelfallbetrachtung, und es werden die Auslandskranken- und Unfallversicherung für den Auslandsaufenthalt organisiert, so die Personalvorständin Ariane Reinhart im Mai im Interview mit der Wirtschafts­Woche. Mitarbeiter berichten in dem Beitrag, dass sie z.B. vier Wochen auf Mallorca in einer Ferienwohnung arbeiten, mit morgens Sport treiben und einem digitalen Kaffee mit den Kollegen in der Zentrale zwischendruch. Auch ihre Kollegen in der Produktion hätten bei Continental die Möglichkeit zu Remote Work, denn viele Aufgaben im Wartungsbereich oder im Qualitätsmanagement lassen sich inzwischen auch außerhalb der Fabrikhallen erledigen. „Wenn wir der fortschrittlichste Arbeitgeber in unserer Branche sein wollen, müssen wir neue Wege gehen“, sagt Ariane Reinhart im Interview. Zugleich stellt sie klar: „Wir erwarten, dass die Beschäftigten im Ausland genauso produktiv sind wie hierzulande im Büro oder im Homeoffice.“
Beim Touristik-Riesen TUI geht man ähnliche Wege. Weil das Firmengebäude in der Hannoveraner Zentrale deutlich verkleinert wird, entsteht hier derzeit der TUI Campus, der ausnahmslos alle Mitarbeiter in ein hybrides Arbeitsmodell bringen soll. Im Rahmen des internen Programms TUI Workwide können alle bei TUI zudem bis zu 30 Tage im Jahr im Ausland arbeiten. Ob Spanien, Marokko, Thailand, die USA, Brasilien oder Australien – weltweit wurden unzählige Destinationen bereits bereist. Dort, wo in einem Land eine TUI-Organisation existiert, sind steuerliche Themen etc. im Rahmen der 30 Tage für TUI einfach ­umsetzbar.

30 Tage – darauf beschränken im Moment die meisten Unternehmen die erlaubten Working-­from-­anywhere-Tage.

Dass sich Firmen auch an noch mehr Working-from-any­where-Tage heranwagen – trotz aller steuer- und arbeitsrechtlichen sowie sozialversicherungsrechtlichen Hürden, zeigt ein Ranking des HR-Softwareanbieters Workmotion: Das Spektrum reicht hier von zehn Arbeitstagen bei Adidas und Booking.com über 54 Tage bei Bosch und 60 Tage bei dem Pharmaunternehmen Merck bis zu 183 Tagen bei Workmotion selbst. Im Rahmen von Austauschrunden werden gemeinsam zugleich Umsetzungswege ausgetauscht.

Hürden lassen sich beseitigen

Für Corinna Döpkens ist das Kommunizieren der eigenen Konzepte der richtige Weg. „Viele wollen dies aber im Moment nicht, sind noch nicht so weit bzw. kämpfen sie mit vielen Herausforderungen und personellen Engpässen“, sagt die Business Travel & Mobility Expertin. Grundsätzlich betrachtet sie dabei Bleisure und Workation voneinander getrennt. Das Thema Workation sei derzeit präsenter in den Unternehmen, weil es nicht zuletzt in den Medien stärker vertreten ist. „Dabei sind die Unternehmen unterschiedlich aufgestellt: Einige haben bereits klare Richtlinien und Prozesse implementiert, vor allem größere, die mit ihren Rechtsabteilungen entsprechende Möglichkeiten haben. Andere stehen noch am Anfang oder haben sich noch nicht damit auseinandergesetzt, obgleich Workation als wichtig eingestuft wird“, stellt sie fest. Bleisure Travel gibt es dagegen schon länger – und wird eher „geduldet“. „Gemeint ist damit: Bleisure findet in vielen Unternehmen statt, aber ohne, dass es dafür in den Travel Policies festgelegte Regeln gibt, was besonders im Hinblick auf die Fürsorgepflichten höchst bedenklich ist. Dabei wäre dies einfach umsetzbar“, so Corinna Döpkens. Wichtig sei es hier, Rahmenbedingungen in den Reiserichtlinien festzuhalten, wie die Notwendigkeit einer Kostensplittung oder Versicherungsmodalitäten, und diese klar zu kommunizieren.

Bei der Implementierung einer Workation-Strategie, da sind sich viele Experten einig, muss zunächst eine genaue Prüfung für jedes Land erfolgen und dies idealerweise in einer Betriebsvereinbarung schriftlich erfasst und kommuniziert werden. Meistens begrenzen die Unternehmen im Moment die Erlaubnis zu Workation-Aufenthalten auf das eigene Land und die EU sowie auf 30 Tage. Das sei auch im Hinblick auf den Aufwand sinnvoll, sagen Experten. Zugleich werden die Dienstleister zu proaktiven Lösungen animiert. Bei vielen Hotels wie Motel One sind getrennte Buchungen und Abrechnungen von geschäftlichen und privaten Anreisen problemlos möglich. Große Ketten wie Marriott bewerben Bleisure-Möglichkeiten. Kleine Gruppen wie die Münchner Gambino Hotels und das Flax Allgäu, hinter der der gleiche Betreiber steht, stellen sich als kombinierbare Bleisure-Hotels offensiv auf und bieten z.B. Doppelzimmer zu einem Pauschalpreis, egal ob noch der Partner nach dem Geschäftstermin in München für ein paar Tage in den Allgäuer Bergen hinzustößt oder nicht.

Wichtig ist aber auch, dass der Gesetzgeber für mehr Klarheit und internationale Einheitlichkeit sorgt. Seit 1. Juli 2023 gibt es zumindest bei der Sozialversicherung eine Erleichterung. Danach ermöglichen die meisten Länder in der EU nun Homeoffice bis zu 49,99 % ohne, dass die Sozialversicherungspflicht in den neuen Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers „wandert“. Bisher lag die Grenze bei 25 %.
„Die Themen Bleisure und Workation sind nicht so kompliziert, wie manche Unternehmen immer noch glauben. Wichtig ist, dass Regeln in den Travel Policies verankert sind, der geschäftliche Anteil überwiegt, der private Anteil klar getrennt ist, die Versicherungen geprüft werden und dass die Preise nicht explodieren“, fasst Corinna Döpkens zusammen. Beim „Rest“ geht es viel um Grenzen ziehen und Eigenverantwortung, die man dem Mitarbeitenden überträgt und die man von ihm auch erwarten kann – und vor allem um Vertrauen und Kommunikation. Dann profitieren sowohl Mitarbeiter als auch Unternehmen von dem Trend.


Sylvie Konzack …

… erinnert sich noch gut an das Jahr 2018, als das Magazin Bleisure Traveller startete und immer wieder sein Thema erklären musste. Die Pandemie und die Digitalisierung wurden zum Game Changer für Bleisure, Remote Work und Workation. Jetzt müssen sie zusammen mit anderen New-Work-Aspekten Teil einer People Strategy werden und damit von den Travel-Management-Abteilungen in die Unternehmensführungen wandern.

 

Foto: © Sylvie Konzack

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