„Ayurveda-Auszeit in Asien? Corona hat mich gegroundet und zum Fasten ins Buchinger Wilhelmi an den Bodensee geführt. Das Beste, was mir passieren könnte.“ Kai Böcking
Die weite Reisewelt steht seit Corona weitgehend still. Auch, oder gerade für Vielreisende wie mich, die die größte Zeit des Jahres in Fliegern, Großstädten oder exotischen Schauplätzen rund um den Globus verbringen. Schluss erstmal damit. Nix Korea, Afrika oder Kalifornien – und damit auch nicht das Einlösen des Bleisure-Versprechens: „Nach dem Geschäftstermin kommt der coole Leisure-Teil Deiner Reise.“
Auf meiner Anti-Stress-Bucket-List stand schon lange ein neuer Aufenthalt in einem Ayurveda-Resort in Asien – ein paar Tage Körper und Seele in der Sonne streicheln lassen, mit viel Bewegung, Fasten und gesunder Ernährung. Doch Corona hat alle meine Reisepläne pulverisiert. Heute sage ich: Gut so. Ohne Corona wäre ich wahrscheinlich nicht in der Buchinger Wilhelmi Klinik am Bodensee gelandet. Die Fastentherapie war ein Glücksgriff in vielerlei Hinsicht.
Das Original für die innere Inventur
Das Angebot an Fastenkuren in Deutschland ist groß – von einfach bis glamourös, von bezahlbar bis zu Preisen, die umgerechnet mindestens 1.000 Euro pro verlorenem Kilo bedeuten. Ich habe in der Buchinger Wilhelmi fast sieben abgegeben – Kilo! Also, war der Ansatz für mich klar: Ist eine Fastenkur etwas für gestresste Vielreisende wie mich? Werde ich dort nur auf opulente, womöglich kranke und ältere Menschen treffen?
Die Buchinger Wilhelmi Klinik am Bodensee ist DIE Institution, wenn es um das gleichnamige Fastenprogramm geht. Denn der Klinikgründer Dr. Otto Buchinger war es, der vor 100 Jahren das Heilfasten gesellschaftsfähig gemacht hatte. Buchinger-Heilfasten bedeutet hier, mit Blick auf den Bodensee zehn, 14 , 21 oder 28 Tage auf feste Nahrung zu verzichten, inklusive Entlastungs- und Aufbautage. Viel Tee, Fruchtsäfte und eine Gemüsesuppe am Abend machen dabei ungewürzt den Ernst der Lage klar: Fernab jeglicher Genussmittel, geht es hier nicht ums Essen!
„Heilfasten ist wie eine innere Inventur oder, in der Sprache des Motorsports, ein Pit Stop“, sagt der smarte Geschäftsführer Leonard Wilhelmi bei meiner Begrüßung (Foto). Der Anfang 30-Jährige hat vor einem Jahr die Geschäfte von seinem Vater übernommen, sein Bruder leitet die „Clínica Buchinger Wilhelmi“ im spanischen Marbella, die es seit den 1970er Jahren gibt.
In Überlingen durfte die Klinik auch während des Lockdowns Gäste empfangen, weil sie eine Fastenklinik mit integrativer medizinischer Betreuung ist. Die Lage oberhalb des Bodensee-Örtchens Überlingen ist dabei ein Knaller. In den 1950er Jahren ist hier das erste Fastenklinikgebäude entstanden, feinster Charme der Nachkriegsjahre. Mittlerweile verteilen sich mehrere moderne Gebäude auf dem riesigen Gelände – alle mit Blick auf den See. Und zu meiner Freude lockt mich bei meinem Besuch im Mai ein warmer 25-Meter-Pool zum sportlichen Schwimmen, in dem sich dank Covid-19 maximal zwei Menschen zusammen austoben dürfen – ich gehöre oft dazu.
Fasten Business as usual
Die Fastentherapieklinik ist geöffnet, trotzdem sind vielleicht nur zehn der 160 Betten belegt. „Normalerweise wären wir derzeit ausgebucht. 70 Prozent unserer Gäste kommen aus aller Welt zu uns. Die fehlen jetzt“, sagt Leonard Wilhelmi, der am gleichen Tag seine jährliche Fastenkur beginnt, wie ich.
Es gibt verschiedene Zimmertypen für Fastenhungrige. Vom schmalen Einbettzimmer bis zur großen Suite. Mein Zimmer könnte in jedem Fünf-Sterne-Hotel Deutschlands stehen. Doppelbett, verglaste Dusche, helles Holz und eine Terrasse mit Liegemöglichkeit und unverbautem Blick auf den Bodensee. Also, Zimmerservice anrufen, Fisch und Chablis bestellen und auf der Terrasse genießen – vergessen wir schnell!
Stattdessen geht es erstmal zum Internisten, zu einem der Ärzte aus der insgesamt langen Reihe von Ernährungsberatern, Therapeuten und Psychologen im Haus. Sie wiegen und vermessen die Fasten-Gäste, nehmen Blut ab (inklusive Corona-Test) und weisen in die Regeln des Heilfastens a la Dr. Otto Buchinger ein – dem harten Knochen der Kaiserlichen Marine. Und natürlich gibt es wegen Corona einige Einschränkungen in Sachen Hygiene. Aber sonst – Fasten Business as usual.
Essen, Leben, Seele folgt
Nach dem ersten Eingewöhnungstag geht es ans Eingemachte, sprich an eine Magen- und Darmentleerung – körperlicher Winterschlussverkauf – alles muss raus! Und danach folgen acht Tage Herunterfahren. Essen, Leben, Seele.
Ja, ich mache das freiwillig hier, fühle mich aber nach dem ersten Besuch beim Arzt irgendwie auch behandlungsbedürftig. Abends im Bett wird mir zum ersten Mal klar, dass ich hier eine echte geistige und körperliche Herausforderung erleben werde. Handy und Laptop bleiben dabei, bis auf eine festgelegte Stunde am Tag, aus. In dieser Stunde arbeite ich bei störungsfreiem WLAN im Zimmer oder auf der Terrasse und bin für meine Geschäftspartner erreichbar. Dies hatte ich vorher auch so kommuniziert.
Ich erspare Ihnen die körperlichen Exzesse meines ersten Fastentages. Nur soweit: Die Inventur beginnt von innen und zeigt erstaunlich schnell Wirkung. Zehn Tage meines Lebens schenke ich mir jetzt selbst. Dazu gehört jeden Morgen wiegen (schon wieder 600 Gramm weniger), Blutdruck messen und auf den Plan schauen, welche Massagen, Pilates und Yoga-Stunden als Bewegungseinheiten angeboten werden. Dann zweimal am Tag für eine Stunde in den Pool, abends aufs Laufband bevor die tägliche Gemüsesuppenration mich an den alten Buchinger denken lässt.
Was macht man den ganzen Tag neben dem Sport und den Massagen wie Lomi Lomi, Shiatzu etc.? Nutzt man das Besinnungs- und Vortragsangebot?
Ich sehe mir ein paar Kochvorführungen an, aber mache sonst, ehrlich gesagt, nichts. Nur Zeitung lesen, die auf Wunsch jeden Morgen mit dem frischen Ingwertee geliefert wird, Bücher auslesen … und vor allem über das eigene Leben nachdenken.
Nach etwa drei Tagen setzt bei mir das ein, was mein Mit-Faster Leonard Wilhelmi prophezeit hatte: die innere Inventur der letzten Monate. Regale anschauen, nutzloses, schmerzhaftes und fürs Leben unnützes Zeug einfach rausschmeißen und Platz machen für Neues.
Pit Stop, neue Reifen, auftanken und weiter geht das Leben. Genial!
Meine stille Zeit
Nach Tag 2 schon höre ich mit dem Zählen meiner Resttage und Mahlzeiten bis zum Ende meiner 300-Kalorien-pro-Tag-Fastenzeit auf. Ich fühle mich einfach zu gut. Ich wandere mit einem anderen Gast (Manager aus der Reisebranche) auf ein stilles Wasser durch Überlingen, plaudere mit einer netten Dame aus dem Iran, die wegen Corona ihren Aufenthalt um ein paar Monate verlängert hat, und treffe jemanden aus meiner Heimatstadt. Was sie alle vereint: Sie kommen immer wieder zum Buchinger-Fasten, jedes Jahr.
Und dann war sie vorbei, meine stille Zeit. Der erste Biss in einen Apfel. Wow! Gewürze im vegetarischen Quiona-Knödel. Die Hose sitzt wieder auf und nicht unter der Hüfte.
Ja, man verliert eine Menge Kilos beim Heilfasten in der Buchinger Wilhelmi Klinik, aber genauso will ich zumindest versuchen, künftig bewusster zu leben. Ich habe meine Sachen in diesen zehn Tagen sortiert und bin jetzt wieder bereit, die Welt mit meinen eigenen Augen zu sehen. Ich werde wieder reisen.
Kai Böcking …
wird wohl ziemlich sicher auch zu denen gehören, die in den nächsten Jahren an den Bodensee zum Buchinger-Fasten in die Klinik zurückkehren werden. Ins Original! Corona sei dank, zumindest in seinem Falle!
Auf einen Blick
Anreise: Die Fastentherapie-Klinik Buchinger Wilhelmi Bodensee befindet sich in Überlingen, am nordwestlichen Ufer des Bodensees. Von München aus, benötigt man mit dem Auto zwei bis drei Stunden, von Zürich knapp eineinhalb Stunden.
Fastentherapie-Klinik: Die Buchinger-Wilhelmi-Anlage verfügt über sechs Häuser – von der Villa Fichtenau im spätklassizistischen Stil bis zur 2016 renovierten und mit Architekturpreisen ausgezeichneten Villa Belgrano. Fast alle der rund 150 Zimmer gewähren einen Blick auf den Bodensee und ermöglichen bei gutem WLAN auch zu arbeiten. Herzstück ist der 2015 neu angelegte Park mit acht Themengärten, einer Kneipp-Anlage und beheiztem Außenpool. Hinzu kommt eine Gymnastikhalle, ein Fitnessraum mit Seeblick, ein Multifunktionssportplatz, eine Lehrküche und mehrere Vortragsräume. In der anerkannten Lehrklinik der deutschen Akademie für Ernährungsmedizin arbeiten acht Ärzte aus unterschiedlichen Disziplinen, über 250 verschiedene Behandlungen werden angeboten.
Adresse: Buchinger Wilhelmi Bodensee, Wilhelm-Beck-Straße 20, 88662 Überlingen, +49 7551 8070, reservation@buchinger-wilhelmi.com
Fotos: © Böcking, Buchinger Wilhelmi Bodensee