„Wer Venedig kennt und mag, dürfte nie genug von der Stadt haben. Overtourism und Untergangsszenarien hin oder her. Ich war zuletzt auf der Insel San Clemente, von der aus der Mythos Venedig noch einmal eine andere Perspektive einnimmt.”
Sylvie Konzack
Die Stadt geht unter. „Aber das tut sie schon seit über 220 Jahren“, würden die Venezianer mit feinsinniger Lebenslust sagen und nicht das Wasser meinen. Vielmehr das Ende ihrer Republik 1797 mit dem Einmarsch der napoleonischen Truppen und der Angliederung an Österreich.
Die bis dahin autonome, stolze Stadt erlebte in Folge große, wirtschaftliche Einbrüche. Aufwändige Prozessionen gab es für viele Jahre nur noch selten. Und Orte wie San Clemente, die kleine sechs Hektar große Insel in der Lagune südlich von Venedig, wurden zu dieser Zeit zu einer Militärbasis und später zu einem Krankenhaus umgewandelt. Die hier lebenden Mönche, die die verfallenen Hospiz- und Kirchengebäude wieder aufgebaut hatten, mussten ihr Kloster und die Insel verlassen. Ein großes Pulvermagazin statt Frieden und Glaube zogen ein.
Erst einige Jahre später wurde San Clemente wieder zu einem Ort des Heilens mit einem Krankenhaus und noch später mit einer Psychiatrischen Klinik für Frauen, die erst 1992 endgültig geschlossen wurde. Jahre des Nichts folgten – auf einer Insel mit Blick auf Venedig, nur 30 schnell-spritzige Bootsminuten vom Terminal-Steg des Flughafens entfernt und nur 15 gemütliche vom Piazza San Marco. Was nahe lag, zog 2003 schließlich ein: der Tourismus in Form des Luxushotels San Clemente Palace – seit 2016 unter der Flagge von Kempinski.
190 Zimmer und Suiten beherbergt das Hotel in den Kloster- und Hospitalgebäuden sowie in den neuen Familienvillen. Hinzu kommen drei Restaurants, ein Golfplatz, ein Tennisplatz, ein historischer Garten mit Kunstobjekten und die Kirche Santa Maria Salute. Viele Geschäftsreisende treffen auf viele Familien. Viele Tagungen auf viele Hochzeiten, manche auch mit indischen Elefanten aus der indischen Heimat des Brautpaares. Eine Privatinsel, eine Hotelinsel, eine Luxusinsel für alle, die die klassische Venedig-Perspektive wechseln und doch auf dem imposanten Wasserweg direkt am Venedig-Mythos teilhaben wollen.
Peggy und das Wasser
Das Wasser! In Venedig das seit Jahrhunderten beherrschende Thema. Als Zubringer, als Heilsbringer, als Sorgenbringer. Wenn im November die traditionellen Hochwasser die Stadt erreichen, gehört Venedig ein Stück weit der Laune des Meeres. Und wenn so hohe Pegelstände wie 2019 erreicht werden, dann sind die Untergangsszenarien voller tragender Superlative.
Doch es besteht Aussicht auf ruhigere Fahrwasser: 2020/21 soll nach über 15 Jahren Verspätung das Projekt „MO.S.E” in die Testphase treten, eine Art Stauwehr an den drei Mündungen zum offenen Meer. Zudem erhoffen sich Experten und Stadtobere eine Entlastung durch die ab Sommer 2020 geplanten Stadt-Eintrittsgelder für Tagestouristen.
Entspannung im Paradies also? Dem einmaligen Venedig-Charme haben die enormen Touristenwellen über die Jahrzehnte wenig anhaben können, da sind sich wiederum die meisten Fans einig. Eine ihrer größten, Peggy Guggenheim, hatte aus ihrem Wahl-Zuhause – dem Palazzo Venier dei Leoni am Canal Grande – sogar eine internationale Kunst-Pilgerstätte geschaffen. Dort, wo sie bis zu ihrem Tod 1979 aß, schlief und von wo sie sich jeden Tag von ihrem Gondoliere eine Stunde durch die Kanäle staken ließ, hängen bis heute Werke von Picasso, Kandinsky oder Mondrian. Erworben von ihr, als die Künstler noch wenige kannten und heute als Peggy Guggenheim Collection ein Magnet und eine Liebeserklärung an den Freigeist der Künstler und der Stadt.
Candlelight in der Kirche
Was den Freigeist angeht, so passt auch Giorgio Schifferegger gut nach Venedig. Der vollbärtige Südtiroler mit Tattoos am Arm und italienisch-lässigem Gemüt auf der Zunge ist der Küchenchef im San Clemente Palace Kempinski und seit Jahren der Stadt beruflich wie privat verbunden. Beim privaten „Chefs Table“ für bis zu acht Gäste öffnet er im T-Shirt die Tür der San Clemente Suite. In den Regalen stehen seine Familienbilder, auf dem Couchtisch Südtiroler Speck und Käse. Er lümmelt auf dem Sofa und kocht später ohne Hilfe in der Haushaltsküche Pasta, Lagunenfisch & Co. Man isst mit ihm gemeinsam am Tisch und deckt ihn zusammen ab. Ein Erlebnis mit einem perfekten Gastgeber wie aus dem Leben.
Auch in seinem Gourmettempel „Acquarello“ zeigt Giorgio Schifferegger Charakter und Spielfreude. In einem Nebenraum der Kirche, die nicht offiziell geweiht ist, lässt er dafür schon einmal die große Tafel mit Silbertellern, Hussen und viel Kerzenschein auffahren. Serviert wird hier, wie auch in den eigentlichen Acquarello-Räumen, ein spannendes Menü, in das all seine Jahre in italienischen und französischen Spitzenküchen münden.
Und sonst? Ganz viel! Wer die Klassiker der Stadt zunächst umfahren will, kann von San Clemente aus zum Beispiel das Wasser-Taxi zur Insel Murano nehmen und sich das jahrhundertealte Glaskunsthandwerk beim Entstehen oder Kaufen nahe bringen lassen. Der Concierge des San Clemente Palace Kempinski empfiehlt auch den Besuch der Insel San Lazzaro degli Armeni, die zu einem der weltweit bedeutendsten Zentren der armenischen Kultur gehört.
Ich gehe in die Altstadt in eines der ältesten und chicsten Kaufhäuser Venedigs: ins T Fondaco dei Tedeschi by DFS – und kaufe nichts. Vielmehr nehme ich den Weg auf die hölzerne Dachterrasse, die noch nicht alle kennen, und genieße: Nirgends sonst dürfte der Blick auf diese einmalige Stadt so einmalig sein. Viva Venezia!
Sylvie Konzack …
gehört zu denen, die immer nach Venedig fahren könnten und die Touristenmassen dabei weitestgehend ausblendet. Auf San Clemente musste sie das gar nicht – selten erlebte sie so viel Ruhe auf einem Venedig-Trip.
Auf einen Blick
Anreise: Nur 40 bzw. 60 Flugminuten von Zürich und München entfernt liegt der Flughafen von Venedig. Von hier aus kann man direkt vom Bootssteg des Terminals aus das Wassertaxi auf die Insel San Clemente nehmen und legt in ca. 25 Minuten an. Wer auf dem Landweg anreist, kann vom Piazza San Marco aus das kostenlose Hotelboot nehmen.
Das Hotel hat in der Regel von Mitte März bis Mitte November geöffnet.
Hotel: Das San Clemente Palace Kempinski nimmt die komplette Insel San Clemente ein und ist eingebettet in einen jahrhundertealten Park. Die 190 Zimmer und Suiten befinden sich mehrheitlich im historisch roten Kloster- und Hospitalgebäude und sind klassisch eingerichtet, hinzu kommen die Familienvillen auf dem Gelände. Als Highlights gelten die Suiten im Navigante-Gebäude mit Panoramaaussichten auf das Meer, historischen Holzdecken und Privatküchen. Gastronomisch verfügt das Hotel über drei Restaurants – das Gourmetrestaurant Acquarello, das Insieme und das La Dolce mit einem der wenigen offenen Pizzaöfen der Stadt, sowie die Clemente Bar und Al Bacaro. Auf dem Gelände befinden sich darüber hinaus eine Kirche, ein eigener Bootsanleger sowie ein Tennis- und Golfplatz. Im Haupthaus gibt es auch ein kleines Spa.
Adresse: San Clemente Palace Kempinski, Isola S. Clemente, 1, 30124 Venezia VE, Italien, +39 041 475 0111, info.sanclementepalace@kempinski.com
Fotos: Konzack, San Clemente Palace Kempinski